Partance
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Press release
For her actual show Partance Madeleine Boschan has developed five colored plywood sculptures, that in the exhibition space not only relate to each other, but also to a light blue painted wall. Differently proportioned pedestals on equal levels build a statuary unity with each singular work that is colored in a bright cobalt blue. Presented to the viewer on eye-level, various possibilities emerge to make contact with each singular work, to sense and to think about the different spatial constellations, that comprise mainly portal- and passage-situations. In a way the recipient can encounter himself, and perhaps also a viewing counterpart appearing on the other side. In the perception of the works the various options of view result from their basic constellations. Fundamental elements and conditions such as: wall, separation, barrier, opening and a passage furthermore opens up a wide range of possible metaphorical meaning.
At first however, Boschans artistic settings appear as what they are: extracted three-dimensional, architectural segments or models that emerge from a two-dimensional flat form by bending, building up and cutting. Despite of diagonal narrowing and the avoidance of exact symmetries that produce tension, the stereometric constructions appear ´simple´, definite and fundamental in an obvious way. From the model-character of the works the question of their relation to a concrete reality arises. Are we confronted with blueprints that are to be converted into a real architecture, or do they exemplify in their playful manner a parallel world, where one is staying or heading to in a pure sensual and imaginary way?
With the collective title of the five different works the artist opens up an additional level of connotation and meaning. Cet imperceptible échange qui nous fait frémir quotes two lines from a late poem by Rainer Maria Rilke. “A nearly perceptible exchange that leads us to tremble“ in the context of Boschans works could not only be read regarding a social activity, but over and above as a reference to the meaning and the impact of artistic works as such, as a particular form of receptivity and interaction, that is vital not only for the enjoyment but also for the understanding of art.
Boschan belongs to a second generation of German, respectively European artists, who pick up American abstract art of the 1960ies. The first generation were amongst others Blinky Palermo, Imi Knoebel, Günther Förg and Isa Genzken who stood especially out with their laconic-expressive and sloppy-spontaneous transformations of artistic concepts, which originally were characterized by formal strengh and by the absence of a specific artistic handwriting, as well as an alignment to basic principles of geometric, structural and physical aspects. Minimal Art transferred the two-dimensional picture into space, created hybrids of painting and sculpture and wanted their abstract settings and formal processes to be understood as autonomous phenomenons – without any illusionistic or associative superstructure.
While the mentioned first generation generally remained faithful to this “neutral“, virtually objective approach, and at the most added humouristic components, subsequently a different, dynamic relation between an autonomous artictic formulation and an equally present reference frame emerged. In Boschans case it seems at first sight that her productions demand their increased right to exist as self-sufficient, independent artefacts. Although in detail her works reveal brushwork, characteristics of materiality and inaccuracies in execution, the overall impression is an atmosphere of closed, apodictic and sometimes almost erratic settings. How do these objects relate to the verbal elements that at the same time come into play? It is presicely this area of conflict between a “carefree“ artistic setting and a cultural reference-system, that in particular determine Madeleine Boschans works. The literary references that frequently – not only in her exhibition Partance – come to fruition, much more than function as a mere description. They serve as a necessary activation, not only on the side of the objects but also on the side of the viewer. Boschans art aims at an extension that is initiated by generating tension, respectively a power play – between the objects themselves and the literary material they are confronted with. The observer is called upon to enter this power play and to produce a necessary energy of friction. Then it can succeed – with the meaning of Partance as to start out, to pass through and to progress – to let arise a trancsendence of the visible.
Thomas Groetz
Pressetext
Für ihre Ausstellung Partance entwickelte Madeleine Boschan fünf farbig gefasste Skulpturen aus Schichtholz, die sich im Ausstellungsraum nicht nur zu einander, sondern auch zu einer hellblau gestrichenen Wand verhalten. Bei gleicher Höhe bilden jeweils unterschiedlich proportionierte weiße Sockel eine spezifische statuarische Einheit mit den in leuchtendem Kobaltblau gefassten Arbeiten. Dem Betrachter auf Augenhöhe präsentiert, entstehen vielfältige Möglichkeiten, Kontakt mit der jeweiligen Arbeit aufzunehmen, sich in unterschiedliche räumliche Konstellationen, die vor allem Portal- und Durchgangssituationen darstellen, hinein zu fühlen und hinein zu denken. Der Rezipient kann in gewisser Weise sich selbst begegnen, und vielleicht auch einem ebenso betrachtenden Gegenüber, das von der anderen Seite her in Erscheinung tritt. Die vielfältigen Sichtmöglichkeiten beim sich Erschließen der Arbeiten resultieren aus deren basalen Konstellationen. Grundelemente und Gegebenheiten wie: Wand, Trennung, Barriere, Öffnung und Durchgang können darüber hinaus ein breites Feld an metaphorisch aufgefasster Bedeutung eröffnen.
Zunächst jedoch treten Boschans künstlerische Setzungen als das auf, was sie sind: als aus einer Fläche durch Biegungen, Umbrüche und Ausschnitte hervorgehende, bzw. extrahierte dreidimensionale, modellhafte Architektursegmente. Trotz Spannung erzeugender diagonaler Verjüngungen und trotz der Vermeidung exakter Symmetrien wirken die stereometrischen Gebilde auf eine selbstverständliche Art und Weise ´einfach´, eindeutig und grundlegend. Aus dem Modellcharakter der Arbeiten ergibt sich die Frage ihres Verhältnisses zu einer konkreten Wirklichkeit. Handelt es sich um Entwürfe, die realisierbar sind als reale Architektur, oder veranschaulichen diese auf spielerische Weise eine Parallelwelt, in der man sich sinnlich-gedanklich aufhält und bewegen kann?
Mit der gemeinsamen Betitelung der fünf unterschiedlichen Arbeiten eröffnet die Künstlerin eine weitere Assoziations- und Bedeutungsebene. Cet imperceptible échange qui nous fait frémir zitiert zwei Zeilen aus einem späten Gedicht von Rainer Maria Rilke. ´Ein kaum spürbarer Austausch, der uns erzittern lässt´ könnte im Zusammenhang mit Boschans Arbeiten über den Effekt eines sozialen Bezuges hinaus als Hinweis auf die Bedeutung der Wirkungsweise künstlerischer Arbeiten an sich gelesen werden, als eine besondere Art der Empfänglichkeit und der Interaktion, die nicht nur für den Genuss, sondern auch für das Verständnis von Kunst unerlässlich ist.
Boschan gehört zu der zweiten Generation deutscher bzw. europäischer Künstlerinnen und Künstler, die die amerikanische abstrakte Kunst der 1960er Jahre rezipieren. Die erste Generation, zu der Blinky Palermo, Imi Knoebel, Günther Förg, Isa Genzken und andere zu zählen sind, zeichnete sich vor allem durch lakonisch-expressive und nachlässig-spontane Anverwandlungen von künstlerischen Konzepten aus, die durch formale Strenge, durch Abwesenheit von künstlerischer Handschrift, sowie durch eine Orientierung an grundlegenden Prinzipien geometrischer, struktureller und physikalischer Aspekte charakterisiert waren. Die Minimal Art verlagerte das zweidimensionale Bild in den Raum, erzeugte Hybride aus Bild und Skulptur und wollte ihre abstrakten Setzungen und formalen Verläufe als autonome Erscheinungen verstanden wissen – ohne jeglichen illusionistischen oder assoziativen Überbau.
Während die erwähnte erste Generation diesem ´neutralen´, quasi objektiven Ansatz in der Regel treu blieb, und ihren Kreationen höchstens humoristische Noten hinzufügte, entwickelte sich in der Folge ein anderes, dynamisches Verhältnis zwischen einer autonomen künstlerischen Formulierung und einem ebenso präsenten Referenz-Rahmen. Bei Boschan scheint es zunächst, dass ihre Produktionen ein verschärftes Existenzrecht als autarke, unabhängig präsente Artefakte einfordern. Obwohl in der Detailansicht ihrer Arbeiten Pinselduktus, Material-Eigenschaften und Ungenauigkeiten in der Ausführung deutlich werden, ist der Gesamteindruck der von geschlossenen, apodiktischen und manchmal geradezu erratischen Setzungen. Doch wie verhalten sich die Objekte zu den gleichzeitig mit ins Spiel gebrachten sprachlichen Elementen? Es ist gerade dieses Spannungsfeld aus einer ´unbekümmerten´ künstlerischen Setzung und einem kulturellen Referenzsystem, das den Arbeiten von Madeleine Boschan ihre Besonderheit verleiht. Die literarischen Bezüge, die bei ihr häufiger, nicht nur in der Ausstellung Partance, zum Tragen kommen, haben weit mehr als eine einfache Bezeichnungsfunktion; sie dienen einer notwendigen Aktivierung, nicht nur der Objekte selbst, sondern auch des Betrachters. Boschans Kunst zielt auf eine Erweiterung ab, die durch die Erzeugung eines Spannungsverhältnisses, bzw. eines Kräftespiels initiiert wird – zwischen den Dingen selbst und dem auf sie stoßendem literarischen Material. Der Betrachter ist aufgerufen, in dieses Kräftespiel einzutreten und eine notwendige Reibungsenergie zu erzeugen. Dann gelingt es vielleicht, im Sinne der Partance – des Aufbrechens, Durchgehens und Fortschreitens – eine Transzendenz des Sichtbaren entstehen zu lassen.
Thomas Groetz