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Exhibition
22.01.2016 - 05.03.2016
MADELEINE BOSCHAN, COLLABORATION_PATRYCJA GERMAN / HOLGER ENDRES, ERWIN GROSS, TOBIAS HANTMANN, ANNA KOLODZIEJSKA, RENÉ LUCKHARDT

still still life

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Press release

A flower vase, a clock, a skull, light falling from the side so that the surfaces of the cloth and objects shine: time appears to have stopped, thereby increasing our consciousness of its inexorable progress.
The still life radically undercuts classic hierarchies, for it ennobles even the most simple, often overlooked and hardly noticed objects. A well painted turnip is more valuable than a badly painted Madonna, remarked Max Liebermann.
Like other genres, the still life has lost its traditional meaning and yet its innovative potential still functions today. Less so, though, in its classic iconography with its variations of flowers, hunting or flamboyant still lifes. It is far stronger in advertising than in art, where it is understood more as an associative space, a game with the stillness in the image, with the metaphor of life and death. still still life also follows these associatively broadened concepts of the still life in that no curatorial authority holds the sceptre. Artists from the gallery were asked to suggest still lifes for the exhibition with the aim of opening up this associative space from their own perspectives.
The initially surprising selection sets a playful challenge to the visitor who must bring the ‘still life’ of the exhibition together. For example, is the fox labelled ‘sleeping’ in Anna Kolodziejska’s photograph referring to the tradition of still life through the traces of decay apparent on closer inspection? Slain animals belong to the constant repertoire of hunting still lifes, dead foxes less so. It refers as a still life in nature, in an update of the vanitas motif, more to the ecological consequences of our understanding of nature.
Tobias Hantmann shows us the posterior in a humerous, virtuoso play on the surface of objects. The domes, which so ‘appetisingly’ stretch towards us like the velvety surface of a Chardin apple are female buttocks. Whole human bodies can become a still life, as Patrycja German and Holger Endres illustrate in long performances during which they do not move. At first sight, a video of the performance is indistinguishable from a photograph.
René Luckhardt captures the moment of life’s suspension in photographs in which he collages heads and faces from photographs by Man Ray and others, and transforms them into stiff quasi sculptures by painterly means: could it be a game with artistic media that brings them all under the heading of still life?
And how are Madeleine Boschan’s 6 Elemente (Parataxe), positioned vertically to the wall, connected to this category? As the identity of the long objects remains open in this sculptural arrangement, so too the compositional ordering in still lives is often more important than the objects themselves. In Erwin Gross’ painting, Untitled, vertical structural elements can also be seen, and are also as difficult to objectively identify. Different colour accents lay over the image like patches of fog. Could one read this as trompe-l’oeil, which plays with the possible mixing-up of reality and representation? Perhaps traces on a wall lay underneath that Gross has as accurately painted as Cornelis Gijsbrechts, the virtuoso of optical illusion still lifes, once painted a note on a pin board or the back side of a painting?
The astonishing actuality of the still life lays not least in the fact that it immediately comes to mind when illusion and deception are in play. Illusion, widely considered unacceptable in Modernism but slipping in again and again, and revived on a grand scale in Surrealism, has always been at home in the still life. Which potential in terms of aesthetics and content it still has today still still life demonstrates in manifold ways.


Ludwig Seyfarth
Translation: Heather Allen

 

 

Pressetext

Eine Blumenvase, eine Uhr, ein Totenschädel, seitlich einfallendes Licht, das die Oberfläche der Stoffe und Materialien gezielt zum Glänzen bringt: Auf einem Stillleben scheint die Zeit innezuhalten und ihr unaufhaltsames Voranschreiten tritt dadurch umso bewusster hervor.

Radikal unterwandert das Stillleben klassische Hierarchien, denn es adelt auch die einfachsten, sonst oft übersehenen und wenig geachteten Dinge. Eine gut gemalte Rübe sei mehr wert als eine schlecht gemalte Madonna, bemerkte bekanntlich Max Liebermann.

Seine traditionelle Bedeutung hat das Stillleben ebenso verloren wie andere Bildgattungen, doch sein innovatives Potential wirkt bis heute nach. Das betrifft weniger die klassische Ikonographie mit seinen Varianten, dem Blumen-, Jagd- oder Prunkstillleben. Sie lebt stärker in der Werbung weiter als in der Kunst. Dort wird das Stillleben eher als Assoziationsraum aufgegriffen, als Spiel mit der Still-Stellung im Bild, mit der Metaphorik von Leben und Tod. Dieser assoziativ erweiterten Auffassung des Stilllebens folgt still still life auch darin, dass hier keine kuratorische Auktorialität das Zepter führt. Künstlerinnen und Künstler der Galerie wurden gebeten, selbst Werke für die Ausstellung vorzuschlagen, um den Assoziationsraum Stillleben aus ihrer Sicht zu öffnen.

Die auf den ersten Blick oft überraschende Auswahl stellt eine spielerische Aufforderung an die Besucher dar, das „Stillleben“ der Ausstellung wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Wie etwa lässt sich der als „schlafend“ bezeichnete, aber bei genauem Hinsehen schon Spuren der Verwesung aufweisende Fuchs, den Anna Kolodziejska fotografisch ins Bild gesetzt hat, auf die Tradition des Stilllebens beziehen? Erlegte Tiere gehören zum festen Repertoire des Jagdstillebens, ein toter Fuchs eher nicht. Er verweist – als Stillleben in der freien Natur – in einer Aktualisierung des Vanitas-Motivs eher auf die ökologischen Folgen unseres Naturverständnisses.

Dem virtuosen Spiel mit der Oberfläche der Dinge zeigt Tobias Hantmann humorvoll das Hinterteil. Die Rundungen, die sich dem Betrachter so „appetitlich“ entgegenstrecken wie die samtene Oberfläche eines von Chardin gemalten Apfels, sind die eines weiblichen Gesäßes. Dass auch gesamte menschliche Körper zum Still-Leben werden können, führen Patrycja German und Holger Endres in längeren Performances vor, während derer sie sich nicht bewegen. Ein Video der Performance lässt sich auf den ersten Blick von einer Fotografie nicht unterscheiden.

René Luckhardt greift das Moment der Stillstellung des Lebens in der Fotografie auf, in dem er Köpfe und Gesichter unter anderem aus Fotos von Man Ray collagiert und mit malerischen Mitteln gleichsam in starre Skulpturen verwandelt: ein Spiel mit den künstlerischen Medien, das sie alle unter die Kategorie des Stilllebens bringt?

Und was verbindet Madeleine Boschans senkrecht an der Wand positionierte 6 Elemente (Parataxe) mit dieser Kategorie? So wie bei diesem skulpturalen Arrangement die Identität der länglichen Objekte offen bleibt, sind bei Stillleben die Variationen der kompositorischen Anordnung oft entscheidender als die Dinge selbst.

Auch auf Erwin Gross’ Gemälde Untitled sind vertikale Strukturelemente auszumachen, gegenständlich ebensowenig identifizierbar. Wie Nebelschwaden überziehen verschiedene Farbakzente das Bild. Könnte man es auch als Trompe-l’oeil lesen, das mit der möglichen Verwechslung von Realität und Abbildung spielt? Liegen vielleicht Spuren auf einer Wand oder Mauer zugrunde, die Gross ebenso akkurat abgemalt hat wie einst Cornelis Gijsbrechts, der Virtuose des Augentäuschungs-Stilllebens, die einzelnen Zettel auf einer Pinnwand oder die Rückseite eines Bildes?

Die erstaunliche Aktualität des Stilllebens beruht nicht zuletzt darauf, dass es sich sofort in Erinnerung bringt, wenn Illusion und Täuschung im Spiel sind. Die Illusion, die in der modernen Kunst weitgehend verpönt war, sich gleichwohl immer wieder einschlich und im Surrealismus grandios wieder auflebte, war im Stillleben immer schon zuhause. Welches ästhetische und inhaltliche Potential auch heute noch in ihm liegt, führt still still life facettenreich vor.

Ludwig Seyfarth