Black Horses
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Press release
PAINTING AS A TRACE OF LIVED TIME
—————— BY MARGRIT BREHM
It is actually really simple. Holger Endres paints pictures that are determined by certain parameters: The format and material of the support, the choice of colors, the width of the brush. They are based on a fixed, simple protocol. For instance this: Paint freehand, vertical, alternating black and white stripes. Stripes as broad as the paintbrush that do not touch each other. It is a concept, and not a particularly complicated one. It promises simplicity and initially amounts to reduction, confined to few, clearly discernible visual elements and the renunciation of composition, perspective, illusionism, narration and free gesture. The picture does not refer to anything and shows nothing but itself. What you see is what you see. This phrase, coined in 1964 by Frank Stella, the only painter among the protagonists of Minimal Art, seems perfectly apt. But what makes this quote interesting with respect to Holger Endres' art is not that it places his paintings in a certain line of tradition. The exciting thing is that it draws attention to seeing, framing the relationship between the visible and the seen as an equation.
When Stella began painting closely spaced parallel stripes on canvas with black enamel paint freehand in the late 1950s, he aimed to emphasize the objecthood of the painting, forcing (...) illusionistic space out of the painting at a constant rate by using a regulated pattern. To this extent, the paintings of Holger Endres are in fact comparable to Stella's. But while Stella was interested in the result, the image as a non-relational object, in which you can see the whole idea without any confusion, it is it nearly impossible to view Endres' paintings through this reserved and detached lens. On the contrary, they seem virtually predestined to destabilize the viewers' perspective. On the one hand, this is due to the way the stripes are painted, and on the other hand – with the later works – it is based on the colored underpainting. When seen from a distance or as a reproduction, the paintings seem to pulse, since our eye perceives the close rows of homogeneous elements as flickering. Illusions of structures appear on the paintings that consist only of black stripes due to the subtle variations in the gaps between stripes, while the flickering effect in the paintings with black and white stripes over a base coat of magenta, cerulean blue or lemon yellow is connected with the hazy perception of a chromatic afterimage in the blank spaces. Things become even more complicated if we get very close to the paintings, and – in focusing on the detail – literally lose sight of the clear structure and compositional pattern. Instead of the rule, now the departure from it is brought into focus. Suddenly we see how conspicuously the width of the gaps between brushstrokes vary, and how uneven the edges of the stripes are. But it only takes a few steps back, seeing the image as a whole, for the geometrical structure to gain the upper hand again. What you see is what you see? What does this mean, if what we see changes depending upon our proximity to or distance from the picture?
The paintings of Holger Endres entice viewers into a different way of seeing. Only by moving in relation to them – changing the location of one's body within space – can one observe how the emphasis shifts from the rule to the departure from it. These paintings bring seeing back to the body. The process of painting the pictures has a distant resonance in the process of sensory reception. Of course, no viewer will reconstruct the gradual emergence of the picture, tracing line by line from top to bottom like the artist, but – whether conscious or unconscious – the visible conveys what cannot be seen: a different notion of time.
When Holger Endres works on a mural, he spends an average of 10 hours daily painting, applying line by line freehand on the wall with the uttermost concentration. It is a kind of performance without an audience. The physical effort, the repetition of the constantly same action and, not least, the focusing of the hand and its paintbrush alter the artist's consciousness and perception. As he puts it, energy is produced. In the murals, progression becomes simultaneity, an image of intensely experienced time, lived time. The visual information is one thing, black and white stripes on magenta – no more. Seeing is something else. What you see is what you see.
Pressetext
MALEREI ALS
ERLEBTE SPUR
–––– von MARGRIT BREHM
Eigentlich ist es ganz einfach. Holger Endres malt Bilder, die nur durch wenige Parameter bestimmt sind: Format und Material des Bildträgers, Wahl der Farben, Breite des Pinsels. Sie basieren auf einer festgelegten, einfachen Handlungsanweisung. Eine solche ist beispielsweise: Im Wechsel vertikale, schwarze und weiße Streifen frei Hand malen. Streifen, deren Breite der Pinselbreite entspricht und die sich nicht berühren. Das ist ein Konzept. Es verspricht Einfachheit und bedeutet zunächst einmal Reduktion. Die Beschränkung auf wenige, eindeutig benennbare Bildelemente und den Verzicht auf Komposition, Perspektive, Illusionismus, Narration und freie Geste. Das Bild verweist auf nichts und zeigt nichts außer sich selbst. What you see is what you see. Die von Frank Stella - dem einzigen Maler unter den Protagonisten der Minimal Art - 1964 geprägte Formel, scheint perfekt zu passen. Von Interesse ist das Zitat im Hinblick auf die Kunst von Holger Endres aber nicht etwa, weil es seine Malerei in eine Traditionslinie stellt. Wirklich spannend ist es, weil es die Aufmerksamkeit auf das Sehen lenkt, und die Relation zwischen Sichtbarem und Gesehenem als Gleichung betrachtet.
Als Stella Ende der 1950er-Jahre begann mit schwarzer Emailfarbe parallele Streifen mit einem minimalen Abstand auf die Leinwand frei Hand zu malen, war es sein Ziel, den Objektcharakter des Bildes zu betonen und durch das regulierte Muster den illusionistischen Raum in gleichbleibenden Raten aus dem Bild zu verbannen. Soweit ist die Malerei von Holger Endres durchaus vergleichbar. Aber während Stella das Resultat interessierte, das Bild als non-relationales Objekt, auf dem man die ganze Idee ohne jede Verwirrung sehen kann, ist es fast unmöglich diese distanzierte und distanzierende Haltung zu den Bildern von Endres einzunehmen. Im Gegenteil scheinen sie geradezu prädestiniert, die Betrachter aus dem Gleichgewicht zu bringen. Einerseits liegt das an der Ausführung der Streifen und andererseits – bei den späteren Werken – an der farbigen Untermalung.
Von der Ferne oder auf einer Abbildung betrachtet, beginnen die Bilder zu pulsieren, da unser Auge die enge Reihung gleichförmiger Elemente als Flimmern wahrnimmt. Auf den Werken, die nur aus schwarzen Streifen aufgebaut sind, erscheinen durch die leicht variierenden Abstände Geisterbilder von Strukturen, während in den mit Magenta, Coelinblau oder Zitronengelb untermalten, mit schwarzen und weißen Streifen versehenen Bildern das Flimmern mit einer diffusen Wahrnehmung der Grundfarbe in den ausgesparten Zwischenräumen verbunden ist. Noch komplizierter wird es, wenn wir der Malerei ganz nah kommen, im Blick auf das Detail die klare Gliederung und den rapporthaften Aufbau im wahrsten Sinn aus den Augen verlieren. Statt der Regel rückt nun die Abweichung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Plötzlich sehen wir, wie deutlich die Breite der Zwischenräume variieren und wie wenig gerade die Ränder der Streifen tatsächlich verlaufen. Aber wir müssen nur ein paar Schritte zurücktreten, das Ganze ins Auge fassen und schon wieder gewinnt die geometrische Struktur die Oberhand. What you see is what you see? Was bedeutet das, wenn sich das, was wir sehen, je nach Nähe zum Bild oder Entfernung von ihm verändert?
Die Bilder von Holger Endres verführen die Betrachter zu einer anderen Art von Sehen. Nur wer sich vor ihnen bewegt, den Ort des eigenen Körpers im Raum verändert, wird bemerken, wie sich die Gewichtungen von Regel und Abweichung verschieben. Die Malerei bindet das Sehen zurück an den Körper. Der Prozess des Malens der Bilder findet ein fernes Echo im Rezeptionsprozess. Zwar wird kein Betrachter die schrittweise Entstehung des Bildes nachvollziehen, wie der Künstler einen Strich nach dem anderen von oben bis unten verfolgen, aber – sei es bewusst oder unbewusst – vermittelt das Sichtbare ihm das, was gar nicht zu sehen ist, einen anderen Begriff von Zeit. Wenn Holger Endres an einem Wandbild arbeitet, malt er im Schnitt 10 Stunden am Tag, in denen er mit höchster Konzentration einen Farbstreifen nach dem anderen, frei Hand auf die Wand aufträgt. Es ist eine Art Performance ohne Zuschauer. Die körperliche Anstrengung, die Wiederholung der immer gleichen Handlung und nicht zuletzt das Fokussieren der eigenen Hand mit dem Pinsel verändern Bewusstsein und Wahrnehmung. Es entsteht, wie er es ausdrückt, Energie. In der Malerei auf der Wand verdichtet sich das Nacheinander zur Gleichzeitigkeit, wird zum Bild erlebter Zeit, Lebenszeit. Die visuelle Information ist das eine, schwarze und weiße Streifen auf Magenta – mehr nicht. Sehen ist etwas anderes. What you see is what you see.