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Exhibition
16.09.2011 - 15.10.2011
Madeleine Boschan

Kayfabe

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Press release

Madeleine Boschan’s sculptural work consists of a continuous struggle with the floating physical expanse and the graphic, linearly bundling of plastic forces in space. She brings together assorted unrelated found pieces and industrial scrap to form her by turns stark, yet graceful sculptures – standing there fragilely, delicately and incisively.

She is affected by strange apparatus, machines beyond the norm and African tribal art. She emphasises that her work elicits absurd merriment and simultaneously a feeling of palpable menace and is intended to make this visible. The materials employed lose their erstwhile use value and their degrading, expedient functionality, and yet in the process they gain a conscious sense of themselves as things and thus resistantly elude our influence.

Madeleine Boschan produces her sculptural constellations as diagrammatizing ensembles, which altogether resemble psycho-geographical maps in their disparate structuring. With an eye to behavioural biology, she herself speaks of “pride-like systems” and she thus lets her works form sculptural packs. In these circular interconnections, one encounters primary coloured, striding Technopods[1], chimera-like Emaniles, radiating electricity, not water, in mysterious rituals of transition; and coupling shrines exposing themselves in hermetic seclusion. The individual components of these highly differentiated, multiple structures interact almost ‘animalistically’ with one another. They stand there in space, lurking for one another and likewise the viewer.

The sculptures place themselves to this end in the relentless, cold artificial light of the neon tubes incorporated within themselves, with which they illuminate themselves, with which they mark their own position in the form of a clearing delineating the surrounding space. An inscrutable doubling, with which the electricity displays itself in its self-created glow. Now and again, the tubes really communicate with one another and send out signs from their interiors animated with gas in an unfathomable rhythm, exchanging emissaries of light, establishing contact “with other electrical devices, in homes, factories, on the street. They all have something to tell.”[2]

Even if Madeleine Boschan’s sculptures might appear like abandoned relics or towering steel totems in a dystopian post-modernist wasteland – similar to those in Jean-Luc Godard’s Alphaville, Chris Marker’s La Jetée and Godfrey Reggio’s Koyaanisqatsi – they possess a completely unique vitality, which against all expectations, opens up a potential escape despite the sand-like trickling away of all temporality.

The exhibition title with its African feel is borrowed by the artist from the emotionally heightened masked spectacle of wrestling. »Kayfabe« (keɪfeɪb) comes from pig latin, an artificial English language, and is a backslang conjunction of ‘be fake’ and the suffix ‘ay’. In wrestling »Kayfabe« stands for the ambivalent acquiescence to a spectacle that pretends to be true, real and not an illusion, that is, not a fake, whilst at the same time all of the participants are acutely aware that it is so.

It is in this way then that Madeleine Boschan picks up the found object, takes it apart and puts it back together again transformed. It is almost as if the still recognisable materials are simply feigning their previous identities by means of unnatural, ‘false signals’, knowing that they long ago in technoid mimicry became something else, that is sculpture. An alienating procedure that does not abandon our ready-made world to oblivion as a mere replica, but instead forces it to stay present and, in this uprising, makes it more comprehensible.

(Christian Malycha)


[1] See Gilles Deleuze and Félix Guattari, ‘1837. Zum Ritornell,’ in: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II, Berlin 1992, p. 431: “As [Konrad] Lorenz says, coral reef fish are coloured like posters or flags. […] Not in the sense that these characteristics belong to a particular subject, but rather that they delineate a territory belonging to a subject, which it has or causes to be. These characteristics are signatures; however, a signature, one’s own name, is not a label produced by the subject, but is instead the label that constitutes an area, a resting place.”

[2] Thomas Pynchon, ‘Die Geschichte von Byron, der Birne,’ in: Die Enden der Parabel (1973), Reinbek bei Hamburg 2000, p. 1024.


Pressetext

Madeleine Boschan‘s bildhauerische Arbeit ist ein fortgesetztes Ringen mit der schwebend physischen Ausdehnung und der grafischen, linear bündelnden Verdichtung von plastischen Kräften im Raum. Aus nicht zusammengehörigen Fundstücken und industriellem Ausschuss fügt sie ihre bald schroffen, bald anmutigen, ihre verklappt und sperrig, fragil, zart und schneidend dastehenden Plastiken.

Es beschäftigen sie verschrobene Apparaturen, abseitige Maschinen und afrikanische Stammeskunst. Sie betont, dass ihre Arbeiten gleichsam aberwitzige Heiterkeit wie spürbare Bedrohung erlangen und vor Augen bringen sollen. Die verwandten Materialien verlieren ihren vormaligen Gebrauchswert und ihre entwürdigend zweckdienliche Funktionalität, doch gewinnen sie sich dabei als selbstbewusste Dinge und entziehen sich widerständig unserem Einfluss.

Ihre plastischen Konstellationen erzeugt Madeleine Boschan als diagrammatisierende Ensembles, die in ihrer disparaten Anordnung durchaus psychogeografischen Karten ähneln. Sie selbst spricht mit Blick auf die Verhaltensbiologie von „rudelhaften Systemen“ und lässt ihre Arbeiten derart plastische Meuten bilden. Man trifft in diesen zirkulären Verschaltungen auf primärfarbig ausschreitende Teknopoden[1], chimärenhafte Elektromanilen, die in mysteriösen Übertragungsritualen nicht länger Wasser, sondern Elektrizität verströmen, sowie auf sich in hermetischer Verborgenheit bloßstellende Kupplungsschreine. Die einzelnen Bestandteile dieser höchst ausdifferenzierten, vielheitlichen Gefüge führen beinahe ‚animalische‘ Beziehungen miteinander: Im Raum stehen sie da, belauern einander und den Betrachter gleichermaßen.

Dazu setzen sich die Plastiken in das unerbittlich kalte Kunstlicht ihnen einverleibter Neonröhren, mit denen sie sich selbst illuminieren, mit denen sie ihren eigenen Ort als Lichtung halten und den umgebenden Raum umreißen. Eine abgründige Dopplung, mit der sich die Elektrizität in selbstgezeugtem Schein ausstellt. Bisweilen sind es wahrlich kommunizierende Röhren, die aus gasbeseeltem Inneren in unentschlüsselbarem Rhythmus Zeichen aussenden, lichte Botschaften austauschen, „mit anderen elektrischen Geräten, in Haushalten, in Fabriken, auf den Straßen, Verbindung aufnehmen. Alle haben sie etwas zu erzählen.“[2]

Mögen Madeleine Boschans Plastiken auch wie verwaiste Relikte oder aufragende Stahlrohrtotems in einem dystopischen, nachmodernistischen wasteland erscheinen – darin Jean-Luc Godards Alphaville, Chris Markers La Jetée oder Godfrey Reggios Koyaanisqatsi vergleichbar –, besitzen sie doch eine ganz eigene Belebtheit, die aller Hoffnungslosigkeit zum Trotz, entgegen aller wie Sand verrinnender Zeitlichkeit ein mögliches Entkommen öffnet.

Den Ausstellungstitel mit seiner afrikanischen Anmutung entlehnt sie dem aufgeputschten Massenspektakel des Wrestlings. »Kayfabe« (keɪfeɪb) entstammt dem Pig Latin, einer englischen Kunstsprache, und ist ein backslang-Konglomerat aus „be fake“ und der Nachsilbe „-ay“. Im Wrestling steht »Kayfabe« für das ambivalente Einverständnis mit einem Schauspiel, das vorspielt, echt, wirklich und eben keine Illusion, kein fake zu sein, wenngleich dies allen Beteiligten äußerst bewusst ist.

Und so nimmt Madeleine Boschan das Gefundene, entformt es und setzt es gewandelt wieder zusammen. Fast so, als täuschten die noch erkennbaren Materialien ihre vormalige Identität mit unnatürlichen, „gefälschten Signalen“ lediglich vor, wissend, dass sie in technoider Mimikry längst zu etwas ganz anderem, zu Plastiken nämlich, geworden sind. Ein verfremdendes Vorgehen, das unsere ready made-Welt nicht in schlichter Kopie dem Vergessen preisgibt, sondern sie vielmehr drängend gegenwärtig hält und in dieser Auflehnung verständlicher macht.

(Christian Malycha)


[1] Siehe dazu: Gilles Deleuze und Félix Guattari, „1837. Zum Ritornell“, in: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II, Berlin 1992, S. 431: „Wie [Konrad] Lorenz sagt, sind die Korallenfische plakat- oder flaggen-farbig. […] Nicht in dem Sinne, daß diese Eigenschaften zu einem bestimmten Subjekt gehören, sondern daß sie ein Territorium umreißen, das einem Subjekt gehört, das sie hat oder hervorbringt. Diese Eigenschaften sind Signaturen; aber die Signatur, der Eigenname, ist keine Markierung, die durch das Subjekt geschaffen wird, sondern die konstituierende Markierung eines Bereiches, einer Bleibe.“

[2] Thomas Pynchon, „Die Geschichte von Byron, der Birne“, in: Die Enden der Parabel (1973), Reinbek bei Hamburg 2000, S. 1024.