mich auf dich, dicht an dicht
Please scroll down to the German version
Press release
“Just imagine you’d be ...”
Patrycja German doesn’t content herself with hypothetical forms. Her art consists of creating concrete situations. At the centre of which is her person and a clearly structured (but not necessarily “simple”) instruction. Her presence and her action – since the artist herself always appears as protagonist – form the starting situation of her life art performances in front of an audience as well as of video-documented actions. In the most recent productions her interest is focused on interacting with a person opposite. She lays down the role intended for the other players and imparts it to those concerned in form of a verbal or gestural instruction (therefore without explanations), but like with a test arrangement this doesn’t define anything but a basic constellation. The suspense of her works is in their incalculability, the potentiality resulting from the interaction. How will the other one react? How do I deal with that reaction?
The artist’s idea to make “genuine” and therefore authentic encounters possible in an artificial situation, at the same time means, to her, a balancing act: on the one hand she has to turn herself over to what’s happening in order to actually create, through her immediate presence, the open situation, on the other hand she’s not to lose touch with the previously set concept and timing, in order not to put at risk the moment of direct encounter either through too frequent variation or through a potential encroachment. In our times, where even the most intimate stirrings of an individual are excessively being presented to the public, performances by Patrycja German are the more noteworthy, because they, time and again, take a look at the limits between possible nearness and necessary distance. The call to direct physical contact with the artist, or the confrontation with her naked body trigger the most different reactions. In spite of the fixed brief time frame – at least for the outsiders, or later on the viewers of the recordings – an advancement in the other players’ attitude becomes visible. But the initial irritation, uncertainty or the effort to comply with the set task can also change abruptly into refusal, flight or (attempted) self-promotion. During all this the artist remains with her role, her full attention focused on the person opposite.
As psychic and physical challenges Patrycja German’s performances have a long tradition. They certify their contemporariness not only through the renouncement of symbols and formulas of emotiveness, but even more through a refusal toward any kind of “message”. The artist uses the image of a maze when trying to explain that the staging of the situation opens up new paths but simultaneously closes others. It’s not just that. The maze doesn’t represent a goal, but experiences on the way. That’s what matters.
Margrit Brehm
Pressetext
„Stellen Sie sich vor, Sie würden…“
Patrycja German begnügt sich nicht mit der hypothetischen Form. Ihre Kunst besteht in der Schaffung von konkreten Situationen. Im Zentrum steht dabei ihre Person und eine klar strukturierte (dabei aber nicht unbedingt „einfache“) Handlungsanweisung. Ihre Präsenz und ihr Handeln – denn stets tritt die Künstlerin selbst als Protagonistin auf – bilden die Ausgangssituation ihrer life art Performances vor Publikum, ebenso wie der auf Video dokumentierten Aktionen. In den jüngsten Produktionen gilt ihr Interesse der Interaktion mit einem Gegenüber. Die den Mitspielern zugedachte Rolle legt sie zwar in Grundzügen fest und vermittelt sie den Betreffenden in Form einer verbalen oder gestischen Handlungsanweisung (also ohne Erklärungen), aber wie bei einer Versuchsanordnung ist damit nur eine Grundkonstellation definiert. Die Spannung der Arbeiten liegt in ihrer Unkalkulierbarkeit, dem Möglichkeitspotential das aus der Interaktion resultiert. Wie wird der/die Andere reagieren? Wie gehe ich mit dieser Reaktion um?
Die Idee der Künstlerin in einer künstlichen Situation „echte“, also authentische Begegnungen zu ermöglichen, bedeutet für sie zugleich einen Balanceakt: Einerseits muss sie sich dem Geschehen ausliefern, um durch ihre unmittelbare Präsenz, die offene Situation überhaupt erst zu schaffen, andererseits darf sie ihr zuvor festgelegtes Konzept und Timing nicht aus den Augen verlieren, um den Moment der direkten Begegnung, weder durch zu häufige Variation noch durch einen potentiellen Übergriff zu gefährden. In unserer Zeit, in der selbst die intimsten Regungen des Individuums der Öffentlichkeit in einem Übermaß vorgeführt werden, sind die Performances von Patrycja German umso bemerkenswerter, weil sie immer wieder die Grenzen zwischen möglicher Nähe und notwendiger Distanz beleuchten. Die Aufforderung zum direkten körperlichen Kontakt mit der Künstlerin oder die Konfrontation mit ihrem nackten Körper lösen unterschiedlichste Reaktionen aus. Trotz des festgelegten kurzen Zeitrahmens wird dabei – zumindest für die Außenstehenden oder nachträglich die Aufzeichnungen Betrachtenden – häufig eine Entwicklung in der Haltung der Mitspieler sichtbar. Die anfängliche Irritation, Verunsicherung oder Neugier wird abgelöst durch ein Sicheinlassen auf die Situation oder die Bemühung die gestellte Aufgabe zu erfüllen, kann aber auch in eine Verweigerung, Flucht oder (versuchte) Selbstdarstellung umschlagen. Die Künstlerin bleibt bei alldem in ihrer Rolle, die volle Aufmerksamkeit auf ihr Gegenüber gerichtet.
Als psychische und physische Herausforderungen stehen die Performances von Patrycja German in einer langen Tradition. Ihre Zeitgenossenschaft bezeugen sie nicht nur durch den Verzicht auf Symbole und Pathosformeln, sondern noch mehr durch eine Verweigerung gegenüber jeglicher „Botschaft“. Die Künstlerin verwendet das Bild des Labyrinths, als sie versucht zu erklären, dass die Inszenierung der Situation neue Wege eröffnet, andere aber gleichzeitig verschließt. Es ist nicht nur das. Das Labyrinth steht nicht für ein Ziel, sondern für die Erfahrungen auf dem Weg. Das ist das Entscheidende.
Margrit Brehm